GästeDialog #10

Über „schwierige Stücke“ sollte man reden

Als Kind und Jugendlicher hat Gerd F. (71) mit Leidenschaft Theater gespielt und gesungen. Als er vor mittlerweile mehreren Jahrzehnten nach München kam, griff er seine Passion zu künstlerisch-darstellenden Ausdrucksformen wieder auf und wagte sich zuletzt auch an Tanz- und Musiktheater heran. Inspiriert haben ihn dazu vor allem zwei Aspekte: Zum einen der KulturRaum, bei dem Gerd F. seit etwa sieben Jahren Gast und seit rund drei Jahren Teil des Erkundungsteams ist. Und zum anderen seine regelmäßige Begleitung bei Kulturevents, die bei ihm mittlerweile sogar ein Interesse für klassische Musik wecken konnte – obwohl Gerd F. sich musikalisch eigentlich zwischen Pop-, Blues- und Jazzmusik beheimatet sieht.

Sein positives „Aha-Erlebnis“ mit der Sparte Musiktheater hatte Gerd F. vor noch nicht allzu langer Zeit bei einer gut besuchten Veranstaltung in der Muffathalle. In das dort präsentierte Stück waren unterschiedliche politische Akzentuierungen geschickt eingewoben, insbesondere rund um die Themen Flucht und Migration. Trotz des hohen inhaltlichen Anspruchs der Inszenierung war die Veranstaltung gut besucht – möglicherweise ein Indiz dafür, dass „schwierige Stücke“, wie Gerd F. sie nennt, vom Publikum geschätzt und eingefordert werden. Gerd F. jedenfalls konfrontiert sich gerne damit: „Mir ist wichtig, dass ich immer wieder Dinge zu sehen bekomme, die ich noch nie gesehen habe, und dass meine Hörgewohnheiten so umgekrempelt werden, dass ich zwischendurch nicht auf die Uhr blicke.“ Vor allem gattungsübergreifende Arbeiten und Theaterstücke in verschiedenen Sprachen und Dialekten hat der Rentner schon in vielen Fällen als sehr bereichernd wahrgekommen.

Besonders einprägsam war für Gerd F. das Tanztheaterstück „Bodytalk“ im Schwere Reiter. Es entsprach zwar einerseits seinem Wunsch, Neues wahrnehmen zu dürfen und eine emotionale wie intellektuelle Horizonterweiterung zu erhalten, jedoch hat er diese Erfahrung auch als unangenehm wahrgenommen. Die Performance thematisierte eindrücklich die körperliche Beschaffenheit des Menschen im Laufe seines Lebens. Phasenweise wurde von den Künstler:innen auf unappetitliche Weise mit Lebensmitteln hantiert, was die Randbereiche des Menschseins eindrücklich visualisierte. Das Identifikationspotenzial des Gezeigten war für das Publikum aus Sicht von Gerd F. bewusst ins Extreme getrieben, was am Ende eine etwas beklommene Atmosphäre im Raum hierließ.

Gerd F. hat die Erfahrung gemacht, dass seine Kulturerlebnisse oftmals einer gewissen Nachverarbeitung bedürfen: „Wenn ich etwas gesehen habe, bewege ich das in mir und dann wird mir erst vieles klar. Dann beschäftige ich mich noch einmal intensiv damit und bin nicht nur Konsument.“ Diese Reflexion dokumentiert Gerd F. einerseits für sich in persönlichen Rezensionen; zudem pflegt er einen regen Austausch mit seiner Begleitung bei dem jeweiligen Event oder mit kulturoffenen Bekannten. Unabhängig von der Form ist Gerd F. dabei wichtig: viel über das Wahrgenommene reden – und vor allem: Fragen stellen.

Text: Antonia Schwingen

Antonia Schwingen, ehrenamtliche Mitarbeiterin bei KulturRaum München, unterhält sich regelmäßig mit unseren KulturGästen und berichtet im „GästeDialog“ über deren Kultur-Erlebnisse.

Antonia ist selber sehr kulturinteressiert und freut sich über persönliche und ehrliche Statements unserer KulturGäste. Sowohl, um andere Menschen in Bezug auf Kunst- und Kulturabenteuer zu inspirieren, als auch, damit Initiativen wie der KulturRaum München sich kontinuierlich positiv weiterentwickeln können.

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