GästeDialog #9

Kultur kann uns für einen Moment der Welt entheben

Ursprünglich kommt Frau E. aus Norddeutschland, seit rund 30 Jahren lebt sie aber in München. Beim KulturRaum ist sie schon lange als Gästin aktiv. Auf die Frage, welches Kulturerlebnis der letzten Jahre ihr besonders positiv in Erinnerung geblieben ist, kann sie sich kaum entscheiden. Ob ein Barockfestival im Schloss Schleißheim, ein Jazzkonzert in der Muffathalle oder eine Show des Comedians Simon Pierce – jede Veranstaltung war auf ihre Weise eine Bereicherung für Frau E.: „Durch den KulturRaum komme ich an Orte, an denen ich noch nie war – er eröffnet mir immer wieder neue bauliche, architektonische und klangliche Räume.“

Nur einmal hat Frau E. eine Theateraufführung im Münchner Volkstheater miterlebt, bei der sie irgendwann kapitulieren und den Saal verlassen musste. Es handelte sich um ein improvisiertes Stück mit eingebauten Gastronomieelementen – ein Konzept, das grundsätzlich aus Sicht von Frau E. Potenzial gehabt hätte, sehr gut zu werden, aber ihr in diesem Fall leider eher das Gefühl vermittelt hat, für dumm verkauft zu werden. Aber auch diese Erfahrung war in Ordnung: Von sich aus wäre Frau E. nicht dorthin gegangen, aber durch das Angebot des KulturRaums konnte sie sich auch einmal ein solches „Experiment“ leisten.

Kunst und Kultur haben im Leben von Frau E. schon früh eine besondere Rolle gespielt. Die enorme Wichtigkeit von Kultur für das menschliche Wohlbefinden hat sich für sie besonders nach dem Krieg deutlich offenbart: Kulturerlebnisse trugen damals dazu bei, die Menschen aufzubauen und ihnen neue Hoffnung zu geben. Und auch in der heutigen Zeit können wir besonders intensiv erleben, wie die Kultur permanent ihre Systemrelevanz unter Beweis stellt: Trotz der allzeit präsenten Bedrohlichkeit von Krieg und Pandemie gibt es Möglichkeiten, sich durch kleine Erlebnisse für die Sinne das Bewusstsein für das Schöne zu bewahren. Sich bei einem guten Theaterstück einfach zurücklehnen oder bei einem Musical am Ende fast schon selbst mitsingen zu können, tut einfach gut. „Da gibt es keine Worte, das kann einen richtig der Welt entheben“, so Frau E.

Die Erfahrung des pandemiebedingten Lock Downs hat viele Menschen in eine Blase gesteckt, jeweils innerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs. Auch darum ist die Konfrontation mit Kultur so wichtig: Viele kulturelle Veranstaltungen umfassen nicht nur Musik oder bildenden Kunst, sondern sind bereichsübergreifende soziokulturelle Gesamterlebnisse, die den Horizont der Menschen erweitern.

Text: Antonia Schwingen